Veröffentlichungen, Pressestimmen und Leseproben
Veröffentlichungen:
2012:
Eine Wurzel (Erzählung enthalten in: “Verlassene Orte” [Hrsg: Corinna Griesbach])
2015:
Liebe in der Literatur (Essay enthalten in: Ausstellungskatalog der Literaturausstellung “Liebe” - Wien 2015)
2016:
Was wir nicht gedacht haben (Erzählung enthalten in: Literaturmagazin “WhyNicht”)
2017:
Der Grenzer (Erzählung enthalten in: “Distomo” - Anthologie des Kid Verlag)
Blendungsbilder (Romanfragment enthalten in: “Supertexte” - Anthologie des Sisyphus Verlag)
Die Bewässerung der Wüste (Roman erschienen bei: Sisyphus Verlag)
Eine Hütte im Schnee (Erzählung enthalten in: Bücherstadtkurier Adventkalender)
2018:
Ein Abendessen (Erzählung enthalten in: Literaturmagazin “WhyNicht”)
Waldgeists warnende Worte (Satire enthalten in: Bücherstadtkurier Adventkalender)
2020:
Зрошення пустелі (“Die Bewässerung der Wüste” - Übersetzung ins Ukrainische) - Anetta Antonenko Verlag
Uneinklang (Gedichtband - Sisyphus Verlag)
2021:
Dies unfassbare Ding (Roman - Septime Verlag)
2022:
Das Mädchen mit dem Bären - als Übersetzer und Redakteur gemeinsam mit Ganna Huemer (Ukrainisch/Deutsch) – Ukr. Original von W. Domontowytsch 1928 – Übersetzung September 2022 (Septime Verlag)
2023
Die Bibliothekarin (Roman - Septime Verlag)
Pressestimmen:
Stimmen zu “Die Bibliothekarin”:
Antonie Magen auf Borromäusverrein.de
Der dritte Roman des österreichischen Schriftstellers Peter Marius Huemer spielt offensichtlich in einer fernen Zukunft und kann mit Fug und Recht als Dystopie bezeichnet werden: In der Welt, die er beschreibt, gibt es kein menschliches Zusammenleben mehr. Einzig den Kindern ist es erlaubt, gemeinsam mit anderen in einem Schlafsaal zu leben und an Unterrichtsstunden teilzunehmen. Haben sie das Alter von 16 Jahren erreicht, werden sie ihrer "Pflicht" zugeführt, für die sie aufgrund persönlicher Eigenschaften ausersehen sind. Dann werden sie mittels einer Schleuse in Abteilungen verfrachtet, in denen sie fortan völlig alleine sind. Die Ich-Erzählerin, die über eine schöne Handschrift verfügt, landet auf diese Weise in der Bibliothek. Ihre Pflicht besteht darin, Tag für Tag Bücher aus einer unendlich anmutenden Büchersammlung zu verzeichnen, sie aber nicht zu lesen. Dass diese Tätigkeit tatsächlich so sinnlos ist, wie sie den Leser*innen erscheint, wird spätestens dann klar, als die Bibliothekarin sie immer weiter vernachlässigt, aber selbst die befürchtete Bestrafung für diese Pflichtvergessenheit ausbleibt. - Huemers Roman lebt in erster Linie von der Atmosphäre hermetischer Räumlichkeiten und sinnloser Tätigkeiten und ist für alle Leser*innen geeignet, die eine Mischung aus Science-Fiction und Schreckensszenario, aber auch parabelhaftes Erzählen im Stil Kafkas schätzen.
Britta Röder / xlcoffeequeen (auf Instagram):
Der gut 200 Seite starke Roman „Die Bibliothekarin“ des österreichischen Autors Peter Marius Huemer überrascht als ein klaustrophobisches Kammerspiel von enormer Wucht.
Mit erbarmungsloser Konsequenz entwirft Huemer eine dytopische Realität, in deren Mittelpunkt die namenlos bleibende Hauptfigur steht. Die Handlung ist in einer nicht näher definierten Zukunft angesiedelt. Die Menschen leben unterirdisch, in kleinen Einheiten aufgeteilt, ohne familiäre Strukturen. Die Kinder werden gemeinschaftlich groß gezogen und dann einer lebenslangen Aufgabe zugeführt, die sie – wie im Falle der Protagonistin – in völliger Isolation erledigen.
„…weil ich so eine schöne Handschrift hatte, wurde ich Bibliothekarin. Nein, ich war Bibliothekarin und man hat es erst mit meiner Handschrift herausgefunden. Wie hätte man es vorher auch wissen sollen?“ (Seite 16)
Akribisch schildert Huemer den eintönigen Alltag seiner Protagonistin, die wie eine Biene im Stock, die ihr zugewiesene Pflicht erfüllt: widerspruchslos, automatisiert, allein definiert durch ihre Arbeit, ohne individuelle Bedürfnisse zu benennen. Die Bibliothekarin lebt in einer winzigen Wohnröhre, die direkt an der unendlich groß erscheinenden Bibliothek angeschlossen ist. Alles was sie zum Leben benötigt, erhält sie durch einen kleinen Versorgungskanal. Ihre Kommunikation mit der Außenwelt beschränkt sich auf die Bestellungen, mit denen sie Essen und Toilettenpapier anfordert, wofür sie kurze Nachrichten auf kleine Zettel schreibt, in Röllchen schiebt und per Luftschacht verschickt. Ihre Aufgabe besteht darin, die Bestände der Bibliothek zu listen. Sie weiß weder für wen sie das tut, noch warum, noch, ob es überhaupt jemanden interessiert. Es ist ihr untersagt, die Bücher in ihrer Obhut zu lesen.
Huemer nimmt sich viel Zeit. Ganz langsam entwickelt sich der Sog, der in die Geschichte hineinzieht. Durch Zufall entdeckt die Bibliothekarin in ihrer Umgebung einen versteckten Raum, in dem Lebensmittel und ein Funkgerät gelagert sind. Sie nimmt beides an sich. Ihre Pflichtverletzung bleibt jedoch ohne Folgen. Die engbemessene Welt ist von nun an in ihren Grundfesten erschüttert. Der erste Schritt der Rebellion ist getan.
„Mein Aufstand war absolut wie das Gesetz der Pflicht. Ich verweigerte mich völlig. … Stattdessen legte ich mich zurück ins Bett, um mich zu langweilen. Eine angenehme Langeweile war das im Gegensatz zu der gewöhnlichen Monotonie des Katalogisierens. Aber auch sie war nur schwer zu ertragen. Was blieb mir also übrig als noch ein Gesetz zu missachten? Die Schleusentore waren geöffnet, die See zuletzt doch eingedrungen. Ich las ein Buch.“ (Seite 29)
Dieses Ereignis markiert, wie sie selbst sagt, einen „Anfang des Mitzuteilenden“. Die Bibliothekarin beginnt zu kommunizieren. Zunächst in kleinen unscheinbaren Schritten durch ausgedehntere Grußformeln auf ihren Bestellzetteln.
Schrittweise ermächtigt sie sich der Sprache. Die Bücher helfen ihr dabei. Sie lernt Worte und erschließt sich deren Bedeutung. Ihre Welt und ihr Denken werden komplexer. Ihre Neugier wächst. Sie beginnt ihren Wortschatz zu katalogiesieren, um ihn später auch noch anderen zugänglich zu machen.
„Über die vergangenen Monate habe ich zu schreiben gelernt. Natürlich meine ich damit nicht, Buchstaben zu formen, nicht einen Stift zu halten, sondern Worte, einen Schatz an Worten zu gebrauchen, um eine Geschichte zu erzählen.“ (Seite 22)
Bereits mit den ersten Szenen drängt sich der Vergleich zu Orwells „1984“ und Haushofers „Die Wand“ auf. An Intensität steht Huemers Roman diesen Kultbüchern auch bis zum Ende in Nichts nach.
Wie in „Die Wand“ erhalten auch hier die Leser:innen keine Erklärung für die Umstände, die zu der dargestellten Dystopie geführt haben. Das Gefühl einer latenten Bedrohung wird dadurch unablässig aufrecht erhalten. Trotz aller Abgeschirmtheit ist die Welt der Bibliothekatrin keine sichere Welt. Wie am seidenen Faden hängt ihr Überleben von der unbekannten Aussenwelt und deren erbarmungslosen Gesetzen ab.
Doch anders als in Haushofers Roman, in dem die Hauptfigur ihre Isolation teilweise sogar als eine Idylle erlebt, verleiht Huemer seiner Bibliothekarin eine tiefe Sehnsucht nach Gesellschaft.
„Sprache, die dem Willen gehorcht, die auf die Reise geht und stets ihr Ziel erreicht. Ein Wunder!“(Seite 11)
Durch die Sprache findet die Protagonistin ein Instrument zur Freiheit. Huemer lässt sie als Ich-Erzählerin sprechen. Mit ihrem Erzählen beginnt die Geschichte überhaupt erst eine Form anzunehmen. Es sind die Worte, die ihrem Denken Struktur verleihen. Doch sie erkennt: Das Wort braucht ein „Wiederwort“, eine Antwort, ein lebendiges Echo. Ohne den Austausch von Worten bleibt die Freiheit am Ende unvollständig und das Wunder bleibt aus.
Huemer inszeniert die Verzweiflung der Bibliothekarin auf eine Weise, die beim Lesen schmerzt. Sein Roman ist bis zur letzten Konsequenz unbequem. Er verweigert seinen Leser:innen nicht nur wichtige Erklärungen sondern auch den ersehnten Hoffnungsschimmer. Das Ende, welches der Autor uns und seiner Protagonistin zumutet, ist kaum zu ertragen. Die Geschichte funktioniert wie ein Kreis, der sich am Ende erneut hermetisch abriegelt, um sein letztes Geheimnis zu bewahren.
Doch anders als die Bibliothekarin in der Geschichte findet der Autor durch den Roman einen Weg nach draußen. Das ungelöste Rätsel der erzählten Geschichte wird zur Botschaft, die die Kraft der Sprache beschwört. Der Sprache als etwas, das nur befreit, wenn sie geteilt werden kann.
Coverbild: schlicht, sandfarben, wie übereinanderliegendes Papier, ein kleiner Schmetterling unter Autorenname und Titel
Große Leseempfehlung!
Auf anderen Seiten (aufanderenseiten.wordpress.com. oder auf Instragram):
Sie steht morgens um 8 auf, setzt sich an ihren Schreibtisch, der Greifarm legt ein Buch vor ihr ab, aus den unendlichen Reihen von Regalen. Sie katalogisiert es und heftet das Blatt in einen Ordner ab. Wenn dieser voll ist, stellt sie ihn in die Schleuse zum Archiv. Das ist die Pflicht der Bibliothekarin von F-23. Ihre Verpflegung erhält sie durch ein Rohr. Sie redet mit keinem Menschen, seit sie hierherkam. Doch dann beginnt sie zu lesen und eine ganze Welt erschließt sich ihr, immer mehr Begriffe ergeben Sinn. Als sie in einem verborgenen Raum ein Funkgerät entdeckt, beginnt sie, anderen vorzulesen und es entspinnt sich ein Dialog, als ihre Hörer*innen. Auch über das Funkgerät kommuniziert sie mit H-43.
Doch wie lange kann es gut gehen, wenn sie in dem starren System, in dem sie existiert, ihre Pflicht derart vernachlässigt? Kann sie überleben, wenn sie sich weigert, das zu tun, was ihre Aufgabe ist?
"Die Bibliothekarin" von Peter Marius Huemer hat mich fasziniert, gerade durch die vielen Leerstellen, die es lässt. Es geht hier um eine stille Revolution, um das Auflehnen gegen ein unmenschliches System, mit den wenigen Mitteln, die der Protagonistin zur Verfügung stehen. Mir hat die Dystopie unglaublich gefallen, die Huemer in seinem kurzen Roman geschaffen hat. Als bookstagrammer konnte ich mich auch sehr mit den Gesprächen über Bücher identifizieren und fand es spannend mitzuerleben, wie sich der Bibliothekarin und auch den Menschen, denen sie vorliest, neue Welten erschließen. Ich möchte hier nicht zu viel über den Inhalt verraten, kann es aber sehr empfehlen.
buchlesenliebe - Coco buchblog ( auf Instagram):
„Die Pflicht, die große Aufgabe der Bibliothekare, war nicht auf ein Menschenleben beschränkt“ (S.55).
Inmitten dieser scheinbar unendlichen Fülle von Büchern, überkommt mich gelegentlich eine leichte Panik - in der Gewissheit, dass ich in diesem Leben wohl niemals all die Bücher werde lesen kann, die ich gern lesen würde - und realistisch betrachtet - wahrscheinlich auch nicht einmal jene, die bereits ein Zuhause bei mir gefunden haben.
Doch im Gegensatz zu mir begegnet die namenlose Bibliothekarin in diesem Kontext ihrer wahrlich anspruchsvollen Lebensaufgabe bzw. ihrer PFLICHT geradezu gelassen, zu der sie im Alter von 15 Jahren in Abteilung G-12 ausgewählt wurde.
In dieser Abteilung wurde sie geboren, erzogen und unterrichtet. Nun, mit 35 Jahren, verweilt sie seit mehr als der Hälfte ihres Lebens in Abteilung F-23, an einem unbekannten Ort und zu einer unbekannten Zeit - ohne Kontakt zur Außenwelt, ohne jegliche zwischenmenschliche Beziehungen und Kommunikation. Die unheimliche Stille wird lediglich von ihrem eigenen Atem, dem Rauschen des Rohrpostsystems sowie ab und an von Besuchen durch Insekten durchbrochen.
Eingebettet zwischen zahllosen Regalen, ihrem Schreibtisch und Bett, verbringt sie ihre Tage mit der mühsamen Katalogisierung der Millionen von Büchern, die sie umgeben. Das ist ihre Pflicht - eine monoton-routinierte Aufgabe von 8 Uhr morgens bis 20 Uhr abends. Lediglich um 13 Uhr darf sie eine halbe Stunde Pause machen und etwas essen. Zusätzlich ist ihr das Lesen der Bücher in diesem streng reglementierten System untersagt.
Doch eines Tages beschließt sie, ihren eigenen Weg der Emanzipation, des Widerstands und der Rebellion gegen ihre Pflichten und die Einsamkeit zu gehen. Sie erlernt das Lesen, entschlüsselt ambitioniert und mit viel Durchhaltevermögen die vielen unbekannten Wörter und ihre expliziten sowie impliziten Bedeutungen, legt sich ein Wörterbuch an. Als sie ein altes Funkgerät entdeckt, beginnt sie außerdem den Menschen in den anderen Abteilungen vorzulesen und moderiert eine Art anonymen Lesekreis.Dabei erhält sie Unterstützung von meiner Lieblingsfigur aus Abteilung H-43, der ihr über das Rohrsystem die Briefe ihrer Hörer*innen zukommen lässt. Kann die Bibliothekarin ausbrechen aus dem inhumanen System der Überwachung und Beschränkung? Oder wird sie doch eines Tages für die Vernachlässigung ihrer Pflicht und das Aufbegehren gegen das System bestraft?
📌“Die Bibliothekarin" ist ein wundervoll sprachlich versierter dystopischer Roman, der sich sicherlich nicht einfach weglesen lässt, sondern Zeit zum Nachsinnen, Innehalten und Verstehen erfordert. Aufgrund seiner partiellen Leerstellen wirft er hin und wieder Fragen und zahlreiche Interpretationsebenen auf - ich war daher unglaublich froh, dass ich ihn gemeinsam mit Tasha @auf.anderen.seiten lesen und besprechen konnte. Zusätzlich gleicht "Die Bibliothekarin" im übertragenen Sinne einer Art literarischen Ethnographie, in der Peter Marius Huemer gewisse Dynamiken und Themen innerhalb der Bookstagram-Community oder vergleichbarer Foren
aufgreift und literarisch verarbeitet. Dies verleiht dem Roman ein hohes Identifikationspotenzial und lädt wahrhaftig zum Schmunzeln ein.
"Die Bibliothekarin" ist eine lesenswerte literarische Ode - eine Ode an die Liebe zum Lesen, zur Sprache und an den wichtigen Beruf der Bibliothekare. Eine große Empfehlung für diesen leider noch etwas unbekannten Roman, dem ich wirklich mehr Leser*innen wünsche!
Tausendlexi (www.tausendléxi.de oder auf Instagram):
In einer Welt ohne freien Himmel, einer Welt strenger Segmentierung dominiert lediglich die Pflicht. Sprache ist auf das Nötigste reduziert, das Lernen zielgerichtet und der Alltag streng geregelt. Zwischenmenschliche Kontakte gibt es nicht und Kommunikation beschränkt sich auf ein Rohrpostsystem. Die Bibliothekarin lebt in Abteilung F-23 und ihre Pflicht besteht darin, die literarischen Werke der Vergangenheit, das kulturelle Erbe einer anderen Zeit zu katalogisieren. Lesen darf sie die Werke nicht – das liegt nicht im Rahmen ihrer Pflicht und was nicht der Pflichterfüllung oder dem Überleben dient, ist verboten. Sie hat sich mit ihrem Dasein abgefunden, kennt nichts anderes, bis sie in den Sog der Sprache gerät, in den Sog von Menschlichkeit, Kommunikation und Nähe. – so der Klappentext.
Nach über zwanzig Jahren ihrer Tätigkeit und ihres tristen Daseins überschreitet die Bibliothekarin, ganz unverhofft die imaginäre Grenze. Sie beginnt ein Buch zu lesen. Viele Wörter sind ihr zwar bekannt, doch weiß sie nicht, was sie bedeuten. Akribisch sucht sie nach Erklärungen und beginnt somit ein Wörterbuch für sich selbst herzustellen. Sie ist sich durchaus bewusst, dass sie sich in Gefahr begibt, denn ihre Pflichterfüllung gerät in eine massive Schieflage. Welche Sanktionen hat sie zu befürchten? Das weiß sie nicht, da sie keinen Kontakt zu anderen Menschen hat, die eventuell ihr eine Auskunft geben könnten.
Sie findet ein Funkgerät und vermag es nach einigen Versuchen zu betätigen. Dies ist der Beginn in eine ganz neue Welt, denn die Bibliothekarin möchte kommunizieren. Nach einem verhaltenen Start ertönt plötzlich eine Antwort. Mit neuem Mut wagt sie sich einen Schritt weiter und sie beginnt über das Mikrofon ein Buch nach dem anderen vorzulesen. Alsbald hat sie eine große Schar an Hörerschaft. Doch diese Art von Freiheit bleibt nicht von langer Dauer.„Ich habe seit Jahren keine Stimme mehr gehört.” Eine Träne löste sich aus meinem Augenwinkel und in meinem Hals verengten sich die Muskeln. Einen Moment blieb mir die Luft weg und als H-43 zu schluchzen begann, gab es auch für mich kein Halten mehr. Wir weinten abwechselnd in unsere Mikrofone…
Seite 138
Die > Bibliothekarin < ist ein wahrer Pageturner. Von Beginn des Romans bis hin zur letzten Seite las ich dieses Buch voller Spannung und Faszination. Peter Marius Huemer ist eine intelligente, futuristische Story gelungen, die seinesgleichen sucht. Diese monotone Pflichterfüllung, die Grenzüberschreitungen im Glück sowohl auch in der Angst, sind authentisch und fesselnd dargestellt. Ein Aufstand gegen die vorherrschende Sprachlosigkeit brillant in Szene gesetzt! Bravo!
Buchhandlung Lehmanns Marburg (auf Instagram):
Allein unter Büchern - was für so manchen Bücherwurm sehr faszinierend klingt, ist für die Bibliothekarin seit 20 Jahren Alltag. Sie lebt in der Abteilung F-23. Einen Namen hat sie nicht, allein ihre Berufsbezeichnung personalisiert sie. Mit 15 Jahren wurde sie zur Bibliothekarin ausgewählt, allein aufgrund ihrer schönen Handschrift. Seitdem ist es ihre Pflicht, die in der gigantischen Bibliothek gelagerten Bücher zu katalogisieren. Lesen darf sie allerdings nicht, das liegt nicht im Rahmen ihrer Pflicht. Es gibt keinen Kontakt zu anderen Menschen, die "Kommunikation" läuft über ein Rohrpostsystem und beschränkt sich auf das Existentielle - Nahrung, Wasser, Toilettenpapier. Nur sehr selten verirrt sich ein Lebewesen in die Bibliothek, ein Falter, eine Ameise, Fliegen. Das Leben verläuft in genau getakteten Bahnen, ohne Möglichkeit, etwas anderes als ihre Pflicht zu tun. Doch eines Tages passiert es - die Bibliothekarin liest fast unabsichtlich eines der Bücher und gerät schnell in den Sog der Wörter, die sie zwar meistens kennt, deren Bedeutung sie aber erst verstehen lernen muss. Buch für Buch befreit sie sich aus ihrer Isolation, mit Hilfe eines alten Funkgerätes erfährt sie auch erstmals, was Kommunikation bedeutet.
"Die Bibliothekarin" von Peter Marius Huemer ist ein futuristischer, dystopischer Roman, der gekonnt von der Monotonie der Pflichterfüllung, der Angst, aber auch vom Glück in der Grenzüberschreitung erzählt. Der Aufstand gegen die verordnete Isolation und Sprachlosigkeit ist ebenso spannend wie intelligent in Szene gesetzt.
Ein ungewöhnliches Buch!!
Weitere Stimmen:
Dies unfassbare Ding- Literaturhaus Wien (9.6.2021) Johanna Lenhart:
Schatten durchziehen den zweiten Roman von Peter Marius Huemer "Dies unfassbare Ding". Schatten, die ein Hochhaus – 'der Turm' genannt – in eine etwas heruntergekommene Gegend einer nicht näher beschriebenen Stadt wirft. Und dieser Turm ist der Dreh- und Angelpunkt des Romans: Ein typisches großstädtisches Bauprojekt, das, nie ganz fertig geworden, nun schon wieder abgerissen werden soll. "Organisator des Verschwindens" (S. 37) bzw. dessen Handlanger ist Johannes Eichinger, Sprengmeister, ein Mann im Dazwischen. Er ist ähnlich konkret und gleichzeitig vage wie der Turm, der sich zunehmend als das titelgebende "unfassbare Ding" entpuppt, in dem Johannes sich immer mehr verliert. Bei der Vorbereitung für die Sprengung werden, je höher man vordringt, Räume und ganze Stockwerke gefunden, die es laut Plan nicht geben sollte, und die immer mehr seltsame geometrische Formen beherbergen. Ein Umstand, der Johannes zunächst in heillose Unruhe stürzt, denn "was dem Plan widersprach, widersprach der Wahrheit" (S. 52). Unfassbar – sowohl im Sinne von unglaublich wie auch von nicht richtig wahrnehmbar – ist das Ding, der Turm, aber nur für Johannes. Andere sehen zwar die Abweichungen, akzeptieren sie aber, ohne von ihrer Rätselhaftigkeit vereinnahmt zu werden.
Johannes ist ein einsamer Mensch, ohne an seiner Einsamkeit zu leiden, der auf andere einsame Menschen trifft und ihnen manchmal Gesellschaft leistet: auf den Hotelbesitzer, dessen Hotel neben dem Turm geschlossen wird, eine junge Bardame/Psychologiestudentin in einem Bordell, die Johannes regelmäßig besucht, um ihr in einer Art informeller Therapie von seinem Alltag zu erzählen, seinen im Büro wohnenden Chef, mit dem er sich gerne betrinkt. Es ist ein Arsenal skurriler Charaktere, die Huemer hier zusammenwürfelt, ohne dabei bemüht oder gar aufgesetzt zu wirken. Beinahe organisch ist das Personal des Romans verwoben mit Johannes und dem Turm – und alle stehen sie auf die eine oder andere Weise vor einem Anfang und einem Ende. Anfang und Ende, Vergangenes und Zukünftiges oder eigentlich der Moment des Übergangs sind das bestimmende Thema des Romans, ist es doch die Aufgabe des Sprengmeisters, den Dingen ein (erlösendes) Ende zu setzen. Vordergründig – denn Johannes selbst steht ebenfalls im Dazwischen:
"Die Wand riss er nieder, nur um zuzusehen, wie neue Mauern sich formierten. So lag seine Berufung darin, gegen die einförmige Ewigkeit, die sie sich erdreisteten einzufordern, aufzubegehren. Immer öfter kam ihm jedoch der Gedanke, dass auf jene doch nur wieder nächste Mauern folgten und dass der Ewigkeit die Chance genommen war, ihr Weiß abzustreifen. Trotzdem verlor sich sein Drang nicht zu zerstören, was immer vor ihm aufragte, weil ihm beides gleich widerstrebte – was gebaut war und was gebaut werden würde." (S. 38)
Man fühlt sich an den Essayband "Gespenster meines Lebens" (dt. 2015) des britischen Kulturtheoretikers Mark Fisher erinnert und dessen Idee, wonach unserer Gegenwart von nicht verwirklichten Zukunftsplänen der Vergangenheit heimgesucht wird. Der Alptraum der "Endlichkeit und Erschöpfung" (Fisher 2015, 17), dessen Denken in der Vergangenheit feststeckt und nicht in der Lage ist, die Gegenwart zu erfassen, treibt in Kunst, Kultur und Stadtentwicklung unserer Zeit sein Unwesen. Erschöpfung und Endlichkeit sind auch die beiden zentralen Momente, die den Sprengmeister Johannes umtreiben. Er ist ein Gespenst, das, weder tot noch lebendig, weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft lebt: "Johannes lebte bereits seit Längerem außerhalb der Zeit. Weder betrachtete er Vergangenes mit Wehmut noch Zukünftiges mit Zuversicht." (S. 18) Johannes steht wie der Turm unbeweglich monolithisch im Dazwischen, häufig in alkoholisierter, "wache[r] Besinnungslosigkeit" (S. 121), und sammelt metaphorischen Staub, der sich in seiner Umgebung tatsächlich sammelt. Diese und andere motivische Parallelen werden von Huemer jedoch nicht überstrapaziert und auserzählt, sodass aus Andeutungen und Vergleichen eine Atmosphäre des Ungewissen, des Vagen entsteht, die gleichzeitig von einer exakten, eleganten Sprache lebt, die beinahe mühelos wirkt. So entsteht in "Dies unfassbare Ding" eine gegenläufige Dynamik, die jedoch zu faszinieren weiß: durch den Sog, den die Geschichte erzeugt, und das Innehalten, das die Sprache verlangt. "[…] keine Idee übersteht die Reise aus dem Gehirn" (S. 210), erklärt der Architekt des Turms, als er mit dessen Abriss konfrontiert wird. Eine Aussage, die wohl auch für jeden literarischen Text gilt – in "Dies unfassbare Ding" hat die Reise ein höchst unterhaltsames Ziel gefunden.
Dies unfassbare Ding - Wolfgang Magazin (3.6.2021) Zarah Weiss:
Ein riesiger Schatten fällt über die Stadt, seit Jahren schon, nun soll er verschwinden: Mit dieser Ausgangslage beginnt der beim Septime Verlag erschienene zweite Roman des jungen Wiener Schriftstellers Peter Marius Huemer, Dies unfassbare Ding.
Von einem unansehnlichen Turm erzählt er und von Johannes Eichinger, Sprengmeister in einem maroden Unternehmen, das von der Stadt den Auftrag erhalten hat, diesen Turm zu sprengen und damit zumindest ein klein wenig die Gegend aufzupolieren:
Der Bahnhof, der hier einmal lag, existiert nicht mehr, das Hotel neben Gleisen und Turm ist verlassen bis auf den sich hartnäckig haltenden Rezeptionisten. Und weil der Chef des Sprengunternehmens in dem Projekt eine letzte Chance sieht, seine Firma wieder nach vorn zu bringen, ist der Druck entsprechend groß. So bessert es auch nicht gerade die Lage, dass bei Vorinspektionen seltsame Unregelmäßigkeiten im Bau entdeckt werden: Wände, die zu schräg sind oder kleine Kammern, die nicht eingezeichnet wurden. Johannes, um die 45 Jahre alt und ohne Lebensenergie, durch seine Schlaflosigkeit immer unfassbar müde und in einer kleinen Wohnung getrennt von Frau und Kindern lebend, gibt sich ein Wochenende Zeit, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen und quartiert sich dafür in Zimmer 12 des sich schon längst außer Betrieb befindenden Hotels ein. Seine Kontakte beschränken sich hauptsächlich auf weinversunkene Abende mit dem alternden Rezeptionisten und die Stunden an der Bar des Bordells Rachel, wo er der jungen Psychologiestudentin Rebecca seine Unruhe anvertraut.
Das Mysterium des Turms webt sich in eine trostlose Kulisse. Es ist der Funke Energie, der dem Protagonisten und seinem Umfeld geblieben ist, der Auslöser, durch den sie in ihrer Einsamkeit und Depression verbunden werden. Die Schwierigkeit, Erklärungen für den Zustand des Turms zu finden, unterbricht Johannes in seiner Lethargie und konfrontiert ihn gleichzeitig mit seiner eigenen Machtlosigkeit. Das Gebäude wurde nie fertig gebaut, die Fassaden sind nicht einmal gestrichen: Als heller, heruntergekommener Monolith ragt der Turm über der Stadt und soll nun verschwinden, bevor er überhaupt je eine Funktion haben konnte. Die Sinnlosigkeit, die darin liegt, spiegelt sich auch in den Charakteren wider, verwandelt sich bei ihnen vielmehr zu einer Regungslosigkeit, zur Resignation vor dem Leben. Unterbrochen wird das durch nahezu surreale Partyszenen, bei denen Johannes im Vollrausch auf ambitionierte Investorinnen, den ursprünglichen Baumeister oder eine subtile Künstlerin trifft – und dennoch verstärken sie alle bloß die große Hoffnungslosigkeit, die sich wie der Turm schattengleich über alles legt – bis zur Explosion …
Peter Marius Huemer legt ein detailreiches und atmosphärisch dichtes Buch vor, das tief eintauchen lässt in eine düstere, mysteriöse, fast schon irrwitzige Szenerie und schmerzhaft deutlich macht, was wir nicht wissen können. Der Titel des Romans könnte also das mysteriöse Bauwerk benennen – oder aber er könnte eine Bezeichnung für dies unfassbare Ding sein, das wir Leben nennen.
Die Bewässerung der Wüste - Falter (8/2018) Sebastian Fasthuber:
Peter Marius Huemer ist ein Autor, der noch Großes vorhat. Was er in seinen Debütroman verpackt, ist bemerkenswert. Die Stadt, in der die Handlung einsetzt, könnte das Wien von heute sein, aber hier herrscht Krieg – wer gegen wen kämpft, erfährt der Leser nicht. Stattdessen werden ihm die verzweifelten Bemühungen eines alternden, dem Alkohol verfallenen Archäologen geschildert, der in seiner Laufbahn noch eine bedeutende Entdeckung machen will.
Also stiehlt er die guten Ideen einer Studentin. Am Schluss steht er tatsächlich in der Sahara und lässt von Arbeitern die Wüste ausschaufeln, um endlich seinen Fund zu machen. Die besten Szenen in dieser beißenden Satire auf den Forschungsbetrieb haben eine ähnliche Kraft und Komik wie einst Klaus Kinski als „Fitzcarraldo“, der ein Opernhaus im Dschungel errichten will. Ein vielversprechendes Debüt, das auch sprachlich überzeugt.https://shop.falter.at/detail/9783903125209
Die Bewässerung der Wüste - Literaturhaus Wien (14.3.2018) Erkan Osmanovic:
"Persephone wartete darauf, gerettet zu werden. Es würde jemand kommen, sie von dort aus dem Schmutz, aus dem Dreck heben und mit sich nehmen, an einen sichereren Ort bringen, und sie würde geheilt werden, doch es vergingen Minuten, es verging eine Stunde, es wurde kalt und dunkel, und niemand war gekommen, nur gegangen. Persephone war nun allein mit den Leichen, und ihre Gedanken, die hinter den Klagen der Verletzten kaum zu ihr durchgedrungen waren, kehrten zu ihr zurück." Und schließlich auch das Licht. Ja, Persephone hat den Einsturz des Gebäudes überlebt. Nun erwacht sie im Bett eines Krankenhauses. Erinnerungen kehren zurück – mit ihnen auch Thiel.
Der Archäologe Dr. Thiel existiert. Ohne Ziel und Antrieb. Seine Glanzzeiten als Forscher sind vergangen und im Privatleben scheint es kaum welche gegeben zu haben. Zurückgezogen lebt er in einer Untergeschosswohnung, "wo man Haus an Haus mit dem echten Leben, der echten Welt, doch ewig davon abgetrennt, zu Tausendst übereinander und nebeneinander gereiht lebte". Dann trifft er sie: Persephone. Eine Studentin, die Thiel nicht nur durch ihre Schönheit, sondern auch durch ihre wissenschaftliche Arbeit begeistert. Mit ihrer Seminararbeit Die Bewässerung der Wüste kommt Leben in Thiels Kopf. Aber und vor allem auch in sein Herz: "Sie nickte, die Augen aufmerksam geöffnet, nie gelangweilt, lachte, staunte, kommentierte, aber unterbrach ihn nie. Hin und wieder tat sie ihre Meinung kund, drängte sich aber nicht auf. Sie bewunderte den Archäologen, wollte alles hören, was er wusste, und er gab es dankbar preis." Soviel zu den Erinnerungen Persephones.
Denn nun steht Thiel vor dem Bett der verletzten Persephone. Ob es ihr gut gehe, oder, ob sie verletzt sei – solche Fragen interessieren ihn nicht: "'Sie ist brillant. Deine Arbeit. Unglaublich.' Persephone starrte Thiel vom Fenster aus verständnislos an. 'Du bist da, glaube ich, auf etwas gestoßen. Ich meine, es braucht bestimmt noch einiges an Recherche, ich habe schon ein wenig weiter nachgeforscht, aber dein Ansatz hat mich um Jahre nach vorne gebracht.' Sie wusste nicht, wovon er sprach, und fragte nicht." Das soll sich allerdings bald ändern. Denn mit ihrer Arbeit startet ein Rennen zwischen den Liebenden. Was erwartet sie im Ziel? Anerkennung. Anerkennung für ihr Fach, ihre Forschung, und ja, auch für ihr Leben. Kaum geht es Persephone besser, machen sich die beiden auf den Weg zu einer Fördergeber-Konferenz und scheitern bei der Jury. Der Grund? Nicht das Forschungsvorhaben. Eher die Antragsstellerin und der Antragssteller. Denn im Komitee sitzt auch Persephones Mutter, die neue Landwirtschaftsministerin. Und die hat nicht nur etwas gegen die Forschung ihrer Tochter, sondern auch gegen Thiel. Was folgt ist ein Streit, besser, viele Streitereien zwischen Persephone und Thiel. Schließlich die Trennung: "Persephone hatte die Universität verlassen, mitten im Semester abgebrochen, und er hatte seit ihrem Gespräch mit ihrer Mutter nichts mehr von ihr gehört, den ganzen Sommer nicht." Alles vorbei? Nicht ganz.
Nach einigen Irrungen und Verwirrungen finden die beiden wieder zusammen. Als Paar, aber auch als Forscher stolpern sie nach vorne. Land in der Oasenstadt Massoud. Dort angekommen, geht es ans Ausgraben. Doch was sie in diesen Tagen finden, ist weit mehr als Artefakte. Es sind sie selbst. Ihre Leidenschaft, ihre Träume und ihre Ängste.Der österreichische Autor Peter Marius Huemer zeichnet in seinem Debütroman das Psychogramm eines Mannes, der zwischen all den neuen Theorieansätzen und Sensationsfunden sich selbst als die Entdeckung schlechthin ansieht: "In einer Welt, in der die Menschen einem anderen zujubelten, gab es nichts für ihn zu tun." Kann Liebe stärker sein als der Drang nach Anerkennung? Kann die Erzfeindin auch die Liebe des Lebens sein? Und wer entscheidet eigentlich, was wichtig ist in dieser Welt? Die Menschen, die Geschichte, irgendwelche Fachgruppen oder man selbst? All diese Fragen wirft der Roman auf und brennt sie ins Gedächtnis der LeserInnen ein.
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Die Bewässerung der Wüste - Schreibkraft (33) Heimo Mürzl:
Der 1991 in Haag am Hausruck geborene, jetzt in Wien lebende Autor Peter Marius Huemer erzählt in seinem Debütroman von den Verwerfungen des Lebens und den Unwägbarkeiten und Irrwegen eines ungleichen Paares und seines Forscherlebens. Eine Satire auf den Wissenschaftsbetrieb zu schreiben hat Huemer ebenso interessiert, wie einen Mix aus Fakten und Fiktion herzustellen, der nicht nur die Grenzen zwischen Recherchiertem und Erfundenem verwischt, sondern auch den schönen Schein der Kunst- und Wissenschaftswelt durchdringt und offenlegt. Er tut das in einer problemlos lesbaren, zugleich aber erzähltechnisch und sprachlich anspruchsvollen Art und Weise, die dem Leser viele Fragen, aber keine Antworten liefert. Dem herausfordernden Lustgewinn bei der Lektüre tut das jedoch keinen Abbruch. Was den Leser in diesem Roman erwartet, geht weit über eine boshaft-aufklärerische Milieustudie hinaus und verbindet Mythos und Realismus, Forschund und Politik, Beruf und Alltag, Liebe und Konkurrenzkampf, Sexualität und Intellektualität zu einer ebenso faszinierenden wie zeitweilig allzu bemühten literarischen Versuchsanordnung, die die Methode der literarischen Fragmentierung geradezu zelebriert, ohne das große erzählerische Ganze aus den Augen zu verlieren. Immer wieder versucht Huemer in seinem Roman über das in einer Vielzahl von Variationen auftauchende Motiv des Kampfes - um Erfolg, Ruhm, Anerkennung, Macht, Deutungshoheit, Liebe und Glück - dem Sinn unserer Existenz nachzuspühren. Zugleich legt Huemer die zerrüttetem Seelen- und Gemütszustände seiner zwei Romanprotagonisten frei - zwei Individuen, die über dem Abgrund baumeln und beide nach einer rettenden Hand greifen. Einerseits der dem großen wissenschaftlichen Erfolg hinterherhechelnde alternde Archäologe und Teilzeitalkoholiker Doktor Thiel, andererseits die zwischen Genialität und Verzweiflung, Autonomiewunsch und Fremdbestimmtheit, Forscherdrang und Sinnsuche oszillierende Stundetin Persephone. Ein im Herzen Europas tobender Krieg lässt die zwei so ungleichen Kontrahenten aufeinandertreffen. Der Kampf ums Überleben in Kriegszeiten eint sie, während der erbittert geführte Kampf um wissenschaftlichen Ruhm und akademische Anerkennung sie trennt. Die beiden Romanprotagonisten wollen weder die Widernisse des Krieges einfach so hinnehmen noch ihren Traum vom bedeutenden Forschungserfolg aufgeben. Als Leser verfolgt man das Romangeschehen mit zunehmendem Interesse und ist mitunter irritiert von der schizoiden Besessenheit der zwei Romanhelden, die zwischen “noch nicht” und “nicht mehr” fast zerrieben werden. Die Bewässerung der Wüste ist ein trauriges, gleichzeitig aber auch (aber-)witziges Buch, das einen irritierend-klaren und desillusionierten Blick auf die weniger schönen Seiten des Seins hinter dem schönen Schein der (Kunst- und Wissenschafts-) Welt wirft. Während Peter Marius Huemer seiner Romanprotagonistin Persephone am Romanende so etwas wie eine Zukunft zugesteht, ist der alternde Archäologe Doktor Thiel nicht mehr zu retten. Nachdem er in der Sahare von Arbeitern die Wüste umgraben lässt, um doch noch seinen epochemachenden Fund zu realisieren, kniet er mit einer kümmerlichen Lampe ausgestattet in einem tiefen Loch und blickt in eine Kammer voller Knochen: “Die Kammer war erhellt und voller Knochen, und in ihrer Mitte war kein Sarkophag. Nur ein Thron und ein Podest (…) Der Sitz des Throns vor ihm war leer bis auf eine schmale Inschrift, unlesbare Zeichen. Niemand saß da, kein Herrscher, kein Sklave, ein abgewandter Schatten (…) Der Doktor sank auf seinen Thron, schloss die Augen und erinnerte sich, einmal ein König gewesen zu sein.” Peter Marius Huemers Romandebüt erfordert einen Wachen Leser, der die immer wieder reißenden Plotfäden selbstständig zusammenknotet, die vielen Leerstellen füllt und unausgesprochene Zusammenhänge kombiniert und imaginiert. Auch wenn die “sprechenden” Namen und der da und dort zu bemühte Verweis auf die Vergangenheit mitunter aufgesetzt und konstruiert wirken, weiß Peter Marius Huemer in seinem Debütroman mit Originalität und Kunstfertigkeit zu gefallen und weckt das Interesse für zukünftige Veröffentlichungen.
Leseproben:
Natürlich wollen Beschriebenes, Benanntes und Angepriesenes auch genossen oder erlitten werden:
Prosa:
Der Geschmack von Zeit (Roman - Kapitel 1):
In geheiligter Erde am ehemaligen Rand des Zentralfriedhofs könnte sich ein Grab befinden, auf dessen Grabstein nichts geschrieben steht. Es könnte sein, dass auf diesem Stein nur zwei Köpfe eines einzelnen Adlers ohne Krone, ohne Zepter, ohne Schild, einander abgewandt zu erkennen sind. Verwitterte freischwebende Köpfe mit weit aufgerissenen Schnäbeln, aber stumm, weil sie keinen Körper haben, keinen Hals und keine Lunge um zu schreien und jeweils nur ein Auge. Sie können sich nicht sehen, wissen aber, dass sie nicht alleine sind. Unter dem Adler und der geheiligten Erde könnte das alte Skelett eines jungen Mannes liegen, den man weit außerhalb der Sichtweite der Kaisergruft verscharrt hat. Das Kiefer könnte schon lange vom Schädel des Toten gebrochen sein und bis auf das Brustbein gesunken in unendlichem Ausruf versteinert liegen. Bevor er gestorben ist, könnte der junge Mann veranlasst haben, dass man ihm den Kiefer mit einer Schnur am Schädel festmache, damit er seinen Tod verschweige. Und womöglich könnte man seinen Wunsch missachtet haben. Es könnte sein, dass sich niemand an den jungen Mann oder sein Grab erinnert, dass alle Welt die getrennten Adlerköpfe vergessen hat und dass in weiser Voraussicht dessen, nichts auf ihn verweist. Die abgelegene Ruhe könnte dem Ausstrecken, dem Rufen, dem unaufhaltsamen Flehen nicht vergessen zu werden, voraus greifen. Es könnte sein, dass der junge Mann sich hier versteckt. Er könnte sein eigenes Verschwinden organisiert haben, die Verwüstung seines Denkmals betrieben. All das könnte gut sein. Es lässt sich aber nicht nachprüfen, so gut hat er sich versteckt. Niemandem ist es je gelungen sein Grab zu entdecken, denn es ist unauffindbar. Im Wissen dessen, hat es klugerweise niemand je gesucht.
Saalsturm:
Stimmengewirr und Stimmengewitter verschwimmen inmitten des Saals und bilden einen verwirrten Strudel, der nach unten, immer nach unten zieht und in dem es Papier zu regnen beginnt. Papier regnen, als ob Papier vom Himmel käme, aber der Himmel ist nicht hier, sonder nur eine hohe Decke mit langen Lichtröhren. Papier, als ob es aus dem Nichts erschienen wäre, genau wie das Gewirr und das Gewitter und man kann überhaupt gar nichts verstehen, nur vielleicht, vielleicht kann man etwas sehen, etwas ganz vorne erkennen, wo jetzt auf einmal alle, ein paar, wie viele, viele, rennen und die Fäuste schwingen und Banner entrollen, während die Reihen reihum langsam in der Erkenntnis von Unkünstlichkeit verstummen. Das ist echt. Das ist jetzt hier, nicht irgendwann. Das ist echt und jetzt, da wir Inne halten, ist das Gewirr nun kein Gewirr und das Gewitter ist wie mit dem Metronom gestimmt. Blitz auf Blitz und Schrei auf Schrei hallen hier, vielstimmig und hasserfüllt erfüllen sie die Ränge von der sich menschenleerenden Bühne aus. Die Schauspieler sind fort. Sie sind fortgelaufen, zurück zum hinteren Bühnenrand gedrückt, von einem Chor verdrängt, der im Gleichklang Parolen skandierend, randalierend Fahnen schwingt. Ein scheinbares Schauspiel, doch nicht lange, nur kurz, dann kommt Blut aus Flaschen und regnet statt Papier, bringt die Regner selbst in ihrem Chorgesang aus dem Konzept. Gegen diesen zweiten Regen erhebt sich endlich Gegenrede und dem kleinen kranken Chor prasselt Gegenregen, mit drei einfachen Worten, entgegen. Sie sollen raus. Sie sollen gehen. Sie sollen, müssen weichen. Als sei der Chor der Toten und Verdammten aus dem Graben erwacht, schreit die Macht aller Dramaturgen und aller Schau und allen Spiels ins Gesicht der anderen, denn jetzt sind es Andere. Jetzt sind sie ausgemacht, werden raus gebracht mit Gegengewalt und unter Gegenwehr. Und ihr furchtbarer Sprechgesang geistlos abscheulicher Wut wird aus dem Zuschauerraum erstickt, verstrickt sich in sich selbst und weicht stolpernd rücklings vor den Armen und den Stimmen des Publikums. Erst durcheinander, dann synchronisiert, dann immer lauter, immer lauter, immer mehr und strenger auf den Punkt und eine Spur zu lange, sodass auch das beinahe furchtbar wird, vereinigt sich die angegriffene Welt. Sie haben ihre Seite gefunden, sich formiert, sich bestätigt und sind nun mehr Eins als Einzelne und schütteln die Köpfe, nicken sich zu, klatschen und jubeln für die rückkehrenden Schauspieler und sind stolz auf die Tapferen, denn das sind sie, tapfer. Jetzt jedes Wort, jetzt jede Geste feiern. Jetzt klatschen, weil man eigentlich keine Worte hat. Sprachlosigkeit muss jetzt überklatscht werden, sodass wer nicht sprachlos ist, kaum noch zu Wort kommt, bis wir unsere Stimmen wieder finden.
Gehen sie nachhause. Aber nicht allein. Wir können am Heimweg nichts für Sie tun. Oder bleiben sie noch. Aber wir sind nicht ewig hier. Formen sie doch wieder einen Chor im Notfall. Sie haben doch jetzt ihre Seite gefunden. Sie haben sich doch positioniert. Nehmen sie ihre Position ein, wenn es notwendig ist. Wir gehen nachhause. Die Schauspieler bleiben. Die Saalstürmer haben sich zerstreut. Sie sind irgendwo, irgendwo, irgendwo, sagt man uns, verschmelzen mit der Nacht und mit den Passanten, tragen nun keine Banner, verlieren ihr Gesicht und setzten sich ein Neues auf. Nehmen wir unsere Positionen ein wie sie? Geben wir ein Gesicht fürs andere auf? Nehmen wir ein Gesicht für Andere? Stürmen wir Säle, reißen wir Plakate von den Wänden, stecken wir Mistkübel in Brand, schmieren wir unsre Worte über Mauern und..? Nehmen sie Ihre Position ein, wenn es notwendig ist! Auf dem Heimweg können wir nichts für Sie tun.
Was wir nicht gedacht haben:
Wir haben nichts gedacht. In dem Lärm haben wir vergessen, wie das geht, was das ist: Denken. Aber wir spüren immer, dass wir es vermissen, mehr als unser Haus und mehr als unsere Eltern oder irgendjemanden. Der Himmel war dort hinter uns immer dunkel aber klar, bot keinen Schutz vor fremden, hoch erhobenen Blicken. Vielleicht kann ich mich auch nur an dunkle Himmel erinnern und habe die anderen auf dem Weg verloren. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich nicht mehr denken kann, sondern nur noch fühlen. Hunger, Kälte, tauben Schmerz. Wo komme ich her? Von Zuhause. Wo das ist? Namen. Ich nenne sie...Zuhause. Man schweigt und geht weiter. Man winkt mich herein und hinaus und in ein Eck mit einer schmalen Eckbank, vom Sperrmüll gerettet. Gespendet, damit ich darauf sitzen kann. Die spitzen Federn unter der Polsterung dringen durch den Stoff da wo ich sitze, aber ich wage nicht mich zu bewegen, um meinen Sitzplatz nicht zu verlieren. Ich weiß gar nicht, warum ich nichts wage. Ich bin doch allein.
Nun nicht mehr. Jetzt sind wir zu dritt, zu viert und stehen auf und gehen weiter und hinaus und in einen Bus und ich schlafe ein. Neuer dunkler Himmel hier und schwarzes Augenliderfirmament. Es rollt und rollt unter mir und ich glaube zu ersticken, weil ich die Dunkelheit nicht atmen kann, aber dann wache ich auf. Ich erwische mich dabei, wie ich an Gesichter denke, die ich nicht mehr kenne und nicht sehen kann und ich erwische mich dabei, wie ich mir vorstelle einen Schluck Wasser zu trinken und eine zu rauchen und dann erwische ich mich dabei, wie ich fluche und höre hinter mir jemanden zustimmend einen Schrei ausstoßen und dann fliegt einen Zeitung gegen das Seitenfenster. Ich schrecke zurück und hoch. Sie bleibt dort einen Augenblick kleben. Alle anderen sind ausgestiegen. Ich bleibe sitzen, verschwinde im Kragen meiner Jacke, wo es warm ist. Weiter warten wir, warten wir, weiter.
Obwohl ein Stimmenschwarm über der Prozession hängt und summt, scheint keiner ein Wort zu sagen. Das Summen von Tausenden ist gar kein echtes Geräusch. In Wirklichkeit gibt es das gar nicht. Es könnte genauso gut still sein. In Wirklichkeit ist es still. Später wird man einmal sagen, wir haben eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Das soll Verwüstung sein? Müll und fremdes Atemrasseln, unseren Schweiß und unser Blut. Man wird sagen, wir haben alle hier, alle, die hier wirklich sind, immer sind, wach gehalten. Und das ist wichtig, denn die sind wirklich und wir nur eine Wilde Jagd, eine Geistererscheinung, die Kinder raubend durchzieht und wieder verschwindet. Besser wieder verschwindet.
Ich möchte etwas wollen, etwas Aktives, etwas Differenziertes, aber eigentlich ich will nur Schlaf essen. Nahrung schlafen. Ich will sein und mein Sein schlägt unkontrolliert in gedankenloser Selbsterhaltung um sich. Ich bin nicht Herr über mich selbst. Es schiebt, Es reist, Es zerrt und ich stürze vorwärts. ... immer vorwärts, in Richtung Heil versprechender Namen, die mich fürchten, mich hassen, wie sie alles hinter mir fürchten und hassen und wie alles hinter mir mich fürchtet und mich hasst. Was ist Es? Und ich weiß nicht warum. Ich weiß. Aber ich kann nicht verstehen, obwohl ich es möchte. Ich habe Hunger. Das macht Angst. Mir ist kalt. Das ist gefährlich. Ich bin das Sinnbild meiner Verfolger. Gott sei Dank, dessen Bild ich bin, dessen Bild auch die hinter mir und hinter ihnen Zuhause die Verfolger sind. Bin ich ein Sinnbild, wenn ich keinen Sinn haben darf? Ich habe keinen Sinn und bin also nur ein Abbild, ein Schatten auf der Höhlenwand. Die Imitation von Sinn. Die Imitation fremden Sinnes. Um drei Ecken verstanden. Dabei ist mein Eigenes verstummt. Meine Gedanken schweigen gemeinsam mit allem sonst in mir. Ich will doch gar nichts sagen damit endlich Ruhe ist. Aber niemand lässt sich Ruhe.
Wir haben gar nichts gedacht. Wir haben die Oma zurück gelassen. Haben ihr gesagt sie muss nachhause gehen ohne Dach und sie hat es mit schwerem Herzen getan. Sie hat sich hingesetzt ohne Wände, in den Wind und ist geblieben. Und als der Alarm gegangen ist, hat sie sich nicht von der Stelle gerührt. Wir sind mit diesem Wind und gegen ihn gegangen. Egal wie und das Wohin war auch so eine Sache, vorwärts, ja, aber wo vorne ist und was es dort gibt, ist man sich nicht immer einig. Man weiß schon gar nicht mehr, wo man die Oma gelassen hat und vergisst ihr Gesicht zuerst. Dann die anderen irgendwann, immer ohne Dach, Zeltbahnziegel und darüber nichts. Die anderen alle irgendwann im Wind.
Alles lärmt und alles brüllt und wütet und trotzdem kann man nichts hören. Jetzt nichts hören, niemals. Es ist so still. So schmerzhaft still. Nur weißes Rauschen voller Geisterstimmen auf veralteten Aufnahmegeräten. Lasst uns für einen Augenblick lang endlich schweigend schweigen. Statische Hintergrundstrahlung liegt uns ständig in den Ohren. Weiter, weiter, weiter, rauschen, laufen, fahren, schlafen, essen, schweigen, schreiend, hustend, weinend. Dafür muss aber unser Hunger gestillt sein, unsere Wunden aufhören so lautstark zu pochen und niemand darf sich vor irgendjemand fürchten, denn das ist nie geräuschlos. Dafür dürfen wir niemandem etwas neiden und dürfen nicht beneidet werden. Erst dann können wir schweigend schweigen. Und die Stille der Gedanken hören. Die Stille der Gedanken stören. Weiter.
Und jetzt nicht den Kopf heben und in einer anderen Sprache sprechen und einen fremden Gott respektieren. Wer ist das? Wer ist mein Gott? Wieso ist mir das nicht egal und dir. Das könnte es doch sein. Das ist zu kompliziert für jetzt, für hier. Das ist für später und dann auch nicht unter uns zwei sondern zwischen denen, die sich über uns streiten, als seien wir ungewollte, ungeborene Kinder, immer unterwegs, eine Woche nur zu alt um uns noch aufzuhalten. Wir sind hier das Thema, das Problem, nicht anders herum. Nicken und den Finger in die Tinte tauchen. Du bist doch jung, du bist doch stark, das kann nicht so schwer sein. Den Mund halten und Fragen beantworten und dann weiter, weiter. Vielleicht ist es am Ende, wenn wir angekommen sein werden, still. Ich spreche jetzt schon leiser als zuvor, hörst du das. Bald wirst du mich gar nicht mehr verstehen, mich nicht mehr sehen und nicht mehr hören. Vielleicht. Wenn wir noch länger unterwegs gewesen sein werden, sollte das jemals geschehen. Wir haben unsere Sachen heute morgen und jeden Morgen gepackt und sind gegangen. Wir haben gar nichts gedacht. Erst jetzt. Und nicht einmal das hier sind unsere eigenen Gedanken.